MenschInnen

Ich bin kein großer Fan von Fernsehshows, erst recht nicht von „Big Brother“. Wenn wir die äußerst miserable Leistung der Moderation ausklammern, ist es bei mir aber spätestens dann vorbei, wenn mal wieder von den „BewohnerInnen“ gesprochen wird. Die westliche Gesellschaft befindet sich seit einigen Jahren schon regelrecht in einer Art Knechtschaft. Ein lyrischer Überwachungsstaat, der Acht darauf gibt, dass Du Dich ja korrekt ausdrückst. Als würde man mit dem Metalldetektor die gesamte Medienlandschaft absuchen, um auch nur den allerkleinsten Fehler aufzuspüren. Wort und Schrift werden mit Großbuchstaben und Sternchen zerschnitten und verunstaltet, als würde das die Situation irgendeines Menschen auch nur geringfügig besser machen. Für mich hat das wenig mit dem bedeutenden Ruf nach Gleichbehandlung zu tun, sondern mehr mit einer gierigen Suche nach Shitstorms.

Etwas Privates

Mein Großvater hat 26 Jahre lang eine äußerst prägende Rolle in meinem Leben gespielt. Er war ein unglaublich sensibler, herzensguter und gänzlich selbstloser Mensch. Er hat nicht mit der Wimper gezuckt, sein letztes Hemd für diejenigen zu geben, die ihm am nächsten standen. Er hat andere an seinem Glück teilhaben lassen, obwohl es das Leben nicht immer gut mit ihm gemeint hat. Ein Mann, der von dem syrischen Zeitungsverkäufer vor seinem Stammsupermarkt lachend mit „Papi!“ begrüßt wurde. Nicht nur, weil er stets einen kleinen Schein für ihn übrighatte, ohne überhaupt eine Zeitung zu kaufen. Vor allem, weil er sich immer die Zeit genommen hat, sich mit ihm zu unterhalten, obwohl er eigentlich kaum ein Wort verstanden hat. Von ihm habe ich gelernt, dass man seinen Mitmenschen immer mit Respekt begegnen sollte. Niemand hat es grundlos verdient, dass ihm dieser Respekt untersagt wird.

Dieser liebevolle Mann hat unseren spielenden Hund meist als „Zigeuner“ und Niederländer gelegentlich als „Muffeköpp“ bezeichnet. Macht ihn das nun zu einem rücksichtslosen Menschenfeind? – Nein, im Gegenteil. Es macht ihn einfach nur zu einem Menschen, denn Menschen sind fehlbar. Genau wie wir, ist mein Großvater ein Kind seiner Zeit gewesen und mit 1929 als Geburtsjahr, ist das eine Zeit, in die sich von uns keiner auch nur annähernd hineinversetzen kann. Nicht hinter allem steckt mutwillige Bösartigkeit.

Haben wir keine anderen Probleme?

Auch ich bin wütend. Ich bin aber nicht wütend, weil Thomas Gottschalk glaubt, er sei zu alt, um genderkonform zu reden. Ich bin wütend, weil Rechtsradikale mittlerweile 83 Mandate im Bundestag besetzen. Ich bin wütend, weil ich heutzutage fast 50% meines Gehalts aufbringen muss, um eine Wohnung zu mieten. Ich bin wütend, weil ich jeden Tag Kinder sehe, die an der Illusion zerbrechen, dass es sowas wie Chancengleichheit gäbe.
Ich behaupte, dass all die Frauen, die in Deutschland bis 1918 dafür gekämpft haben, das Wahlrecht zu erhalten, sich schämen würden. Sie würden sich dafür schämen, wofür wir hier unsere Energie verschwenden. Frauen, die nicht nur ihre gesellschaftliche Stellung, sondern auch ihr Leben riskiert haben, um ihr Recht einzufordern. Wenn ich behaupte, eine Gleichbehandlung erwirken zu wollen, dann darf ich nicht in einer sinnlosen lyrischen Hexenjagd all die Menschen diskreditieren, die sich in ihrer Wortwahl vergriffen haben. Gleichbehandlung bedeutet, sich eben nicht auf ein Treppchen zu stellen und als etwas Besseres auf andere herabzusehen.

Es gibt genügend Elend da draußen in der Welt, das unserer Aufmerksamkeit bedarf. Dass wir uns hier überhaupt mit so etwas beschäftigen, ist eine Wohlstandskrankheit. Niemandes Schicksal wendet sich einem besseren zu, weil er oder sie in irgendeiner x-beliebigen Fernsehshow namentlich berücksichtigt wurde. Jeder, der das glaubt, hat sein Leben nicht wirklich dazu verpflichtet, Ungerechtigkeit den Kampf anzusagen. Jeder, der das glaubt, hat nie wirklich den Missständen dieser Welt ins Auge geblickt. 

Wenn jeder Angst davor hat, das Falsche zu sagen..

 

..traut sich bald niemand mehr, zu sprechen.

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